CRASH

… unser übelster Feind. Unabsehbarer noch als die Krankheit an sich. Allgemein harmlos als Zustandsverschlechterung benannt und doch weitaus mehr als nur ein „Es geht mir schlechter“. Ein Crash ist genau das, was sein Name besagt. Ein vollkommener Zusammenbruch. Oder damit es nicht ganz so beängstigend klingt: ein Überraschungspaket ohne schöne Schleife drum herum. Diffuse Schale, harter Kern. Stark genug, um die grenzenlose Schwäche und Hilflosigkeit sichtbar zu machen, die dieser Krankheit innewohnt.

Traumatisierend, gefangen in Symptomen. Dunkelheit. Stille. Für Tage, manchmal Wochen, Monate. Schon nach dem ersten weiß man, dass man so etwas nie wieder erleben möchte … Crashs bedeuten absolute Isolation. Vom Außen. Du, gefangen in deinem Innen. Ausgeliefert. Auf allen Ebenen. Es geschieht einfach. Ungefragt. Unaufgefordert. Unberechenbar. Du weißt nie, was du bekommst. Währenddessen. Danach. Falls du ein Danach erlebst … Alles schwebt im Raum. Einem stark begrenzten Raum. Deiner neuen Gegenwart. Ihr schattenhafter Begleiter, Pulsgeber und autarker Richtungsweiser des Fortlaufs dieser Erkrankung. Der Crash, das Zentrum unserer größten Angst.

Manche enden ohne sichtbare Spätfolgen. Manche jedoch führen an einen Ort, vor dem wir uns alle fürchten. In eine chronische Zustandsverschlechterung. Dort, wo bereits der nächste wartet. Tage oder Wochen später. Endstation. Manchmal die Pflegebedürftigkeit. Schwarzmalerei? Oder das neue herrschende Synonym für REALITÄT im Leben von Millionen Menschen auf dieser Welt.

Und wo wir grad eh schon in der Dunkelheit stehen. Treppab, tiefer hinein ins Geschehen. Augen zu, Ohren zu. Sinne aus. Schmerzen, Fieber, Lähmungen, Wahrnehmungsstörungen an. Willkommen in unserer Welt … Im Crash. Wenn man Glück hat, geht’s auch nach dem nächsten wieder hinaus. Irgendwann. Doch selbst das Ende vom Crash bedeutet noch lange nicht, dass das Schlimmste bereits überstanden ist …

Im Thesaurus meines derzeitigen Lebens ist Crash ein neues Synonym für beschissen. Zumindest sind wir inzwischen keine Fremden mehr füreinander. Ich spüre ihn kommen. Er klopft an. Mal leiser, mal lauter. Von einem Moment auf den anderen werden Geräusche nahezu unerträglich. Mein Hirn scheint überzogen von Millionen krabbelnder Ameisen, die in meine Schneidezähne wandern. Übelkeit steigt hoch und endet in einem Kloß im Hals. Die Wangen voll Feuer. Da ist er, der Fieberschub. Atemnot. Hier und dort. Husten. Meine Luftröhre fühlt sich an wie berstendes Glas. Der Kopf hingegen wird zur dröhnenden, pulsierenden Riesenkartoffel. Knochenschmerzen, Appetitverlust, Flashback. Als würde Corona noch einmal an der Startlinie stehen.

Tage wie diese beginnen und enden in Dunkelheit. In meinem Bett. Die Rollos sind heruntergelassen, meine Klingel abgeschaltet. Das Telefon macht Zwangsurlaub. Keine Bücher, kein Fernsehen, keine Stimmen, keine Musik. Alles vermeiden, was den Zustand der Reizüberflutung und Erschöpfung weiter manifestieren könnte. Fokussieren, funktionieren, ferngesteuert. Final sind dann nur wir beide. Ich und die Stille. Absolute Stille. Ein Zustand, den ich, so bewusst wie ich ihn nun zu durchleben gezwungen bin, nie als notwendig im Leben erachtet habe.

Stille wird im Durchstehen eines Crashs von der Banalität einer reinen Geräuschreduzierung auf das Minimum zu einem dringenden körperlichen und geistigen Sehnen. Wissend, dass es das Einzige für mich ist, das lindernd wirkt. Eingewickelt in eine Decke. Weiche Kissen um mich herum. Mein Versuch, neben akustischen Impulsen auch jeden unangenehmen Druck auf den Körper zu vermeiden. Mit einer Wärmflasche auf dem Bauch und Noise-Cancelling-Kopfhörern auf den Ohren.

Angst und Dankbarkeit liegen neben mir im Bett. Angst vor jedem unerwarteten Geräusch und Dankbarkeit, wenn ich ohne Störung hinabtauchen kann in tiefen, beruhigenden Schlaf. Bis irgendwo ein kläffender Hund die Straße kreuzt oder eine Klingel in der Nachbarwohnung läutet. Man kann nicht alles kontrollieren.

Während das Leben draußen in meinen Stillstand drinnen einzudringen versucht, beginnt ein weiterer Kampf. Der gegen Farben, Muster und Gerüche. Ich schließe die Augen. Atme durch den Mund. Versuche auszublenden, was meine übersensibilisierten Sinne wahrnehmen.

Leben im Crash bedeutet, Barrikaden zu errichten gegen die wirkliche Welt, ohne sie vollkommen ausschließen zu können. Anders ist es nicht zu ertragen. Jeder Blick über eine leere, weiße Wand hinaus bedeutet, weiter hinabzustürzen. Dann wird mein weicher Teppich in der Mitte des Zimmers zu einer von Lsd-Träumen inspirierten, wogenden, hellgrauen Masse. Das Muster des Parketts zu Cancan tanzenden Streifen in Hellbraun und jeder Gang in die Küche für den Tee, der mir helfen soll, das Fieber hinauszuspülen, ein Duell zwischen meinen Nerven und dem Gewirr von krabbelnden Punkten auf dem Linoleum. Wieder im Bett, den Blick zur Wand gerichtet, ein letztes Knacken des Wasserkochers, das meinen Körper in sich zusammenzucken lässt.

Nach drei bereits überstandenen Crashs wächst mein Repertoire an Wissen, was ihn betrifft. Und doch ist jeder anders. Ich wünschte, wir hätten gute Erinnerungen miteinander.

Doch dann wäre er in meinem Wortschatz wohl kein Synonym für beschissen.